Herrschaftslegitimation in China
„Des
Staates Wurzel ist das Volk:
Der Wurzel Stärke
ist des Staates Frieden.“
(Buch der Dokumente)
Der Begriff der Herrschaftslegitimation
Allgemeine Definition von Herrschaftslegitimation
Legitimation ist zentraler Bestandteil von jeglicher Form der längerfristigen Herrschaftsausübung. Prinzipiell ist der Legitimitätsglaube für eine Herrschaft nicht unbedingt notwendig, solange eine Vertrauensbasis zwischen der herrschenden Elite und dem Verwaltungsapparat besteht. Daher kann sich ein illegitimes Regime auch mittels Zwang an der Macht halten. Eine solche Form der Herrschaft ohne Legitimitätgrundlage wurde jedoch sowohl von David Beetham, als auch von Sima Tan 司马谈 (165-110 v. Chr.) , dem Vater Sima Qians 司马迁 (145-86 v. Chr.), als „kurzfristig zwar schlüssig, längerfristig jedoch nicht zielführend“ kategorisiert.
Nach Max Weber (1864-1920) besteht die Grundlage für Herrschaftslegitimation darin, dass ein Herrscher vorbildhafte Bedingungen und Handlungen suggeriert, welche von den Beherrschten als anerkennungswürdig und rechtmäßig erachtet werden. Diese Bedingungen suggerierten die Bereitschaft des Volkes, sich der Führung des Herrschers unterzuordnen. Insofern hebt Max Weber in Bezug auf ideale Herrschaftsausübung zwei Faktoren hervor: den Willen des Volkes zu Gehorchen und den Glauben an die Legitimität. Der Sozialtheoretiker David Beetham formulierte diesbezüglich einst: „Power is legitimate where those involved in it believe it to be so“. Die Legitimation von Herrschaft stellt ein System dar, welches die herrschende Elite vor der Absetzung durch das Volk schützt. Gleichzeitig fördert die Legitimation den innerstaatlichen Frieden in einer Gesellschaft.
Traditionelles chinesisches Verständnis von Herrschaftslegitimation
Herrschaftslegitimation spielte in China bereits früh eine wesentliche Rolle. Sie diente der Sicherung und dem Erhalt der Glaubwürdigkeit von Herrschaft gegenüber dem Volk.
Seit der Gründung der Zhou 周-Dynastie, etwa im Jahre 1045 v. Chr., galt der „Himmel“ (tian 天) als höchste Gottheit und zugleich als Legitimationsinstanz. Die Legitimation des Herrschers durch den Himmel sollte gewährleisten, dass der Herrscher auf korrekte Weise herrscht (wangdao 王道; Weg des Herrschers) und zugleich die kosmische und soziale „Ordnung“ auf Erden (tianxia 天下; All-under-Heaven) garantieren. Als legitimer Herrscher galt derjenige, der die „Ordnung“ in der Welt aufrechterhielt. Sollte einem Herrscher dies nicht gelingen, ging die Legitimität auf einen würdigeren Nachfolger über.
Das Konzept tianxia entstand zur Zeit der mittleren bis späten Frühlings- und Herbstperiode (chunqiu 春秋) (722-453 v. Chr.) und wurde in de darauf folgenden Zeit zunehmend in den politischen Diskurs integriert. Diese Politisierung des Konzeptes tianxia ist mit dem damaligen Zeitgeist der Suche nach Vereinigung in einer Zeit der Unruhe, insbesondere in den Jahren von 475-221 v. Chr. – der Zeit der zhanguo-Periode (战国; Zeit der Streitenden Reiche) – verknüpft. Von den Denkern der zhanguo-Periode wurde der Begriff tianxia als eine politische, kulturelle und soziale Einheit einer „Gesellschaft“ All-under-Heaven verstanden.
Mit der Person des idealen Herrschers waren Vorstellungen verbunden wie universeller Friede, Ordnung in der Gesellschaft, Harmonie, Weisheit, Wohlstand, und Güte. Ein Herrscher besaß, als Sohn des Himmels, die Verantwortung, im Sinne des Himmels zu handeln. Hierzu formulierte Xunzi 荀子 (ca. 300-239 v. Chr.) einst:
To preserve
the Way and virtue complete, to be the highest and the most esteemed, to
enhance the principles of refined culture, to unify All-under-Heaven, to put in
order even the smallest things, to cause everyone under Heaven to comply and
follow him – this is the task of the Heavenly Monarch. … If All-under-Heaven is
not unified, and the regional lords customarily rebel – then the Son of Heaven
is not the [appropriate] man. (Pines 2013: 261 – Xunzi „Wang zhi“ 王制, V.9:171)
Weiterhin besitzt der wahre Herrscher moralische, intellektuelle Überlegenheit und muss sich in Selbstkultivierung üben. Diese hervorragenden Eigenschaften, nach dem Vorbild der Urkaiser (yi gu shi jin 以事; „die Vergangenheit zu nutzen, um der Gegenwart zu dienen“: Alford 1984: 1180), konnte ein idealer Herrscher jedoch nur mit Hilfe seiner geschätzten Beamten erzielen. Verhindert werden sollte eine Herrschaft nach dem Vorbild des 1. Kaisers der Qin Dynastie - Qin Shi Huangdi. Dieser orientierte sich in seiner Form der Herrschaft an den Schriften des Fürsten von Shang (shangjun shu 商君书).
In den Schriften des Fürsten von Shang heißt es unter anderem:
'Die Dummen sind selbst für vollendete Tatsachen blind, doch der Kluge erblickt sie schon, bevor sie aufkeimen.' Mit dem Volk kann man nicht gemeinsam die Anfänge bedenken, sondern sich nur über vollbrachte Leistungen freuen. ... 'Wer sich mit der höchsten Tugend befasst, harmonisiert nicht mit den Gemeinen, und wer große Leistungen vollbringt, berät sich nicht mit der Masse.' ... Daher richtet sich der Weise, wenn er den Staat stärken kann, nicht nach dem Althergebrachten, und wenn er dem Volk nützen kann, folgt er nicht den Riten. (SJS 1.2 - Übersetzung von Kai Vogelsang 2017: 28)
Lieder, Dokumente, Riten, Musik, Güte, Verfeinerung, Menschlichkeit, Lauterkeit, Eloquenz und Klugheit: Wenn es diese zehn Dinge im Staat gibt, dann kann die Obrigkeit niemanden in den Wehr- und Kriegsdienst führen. Wird ein Staat nach diesen zehn Dingen regiert, dann wir er, wenn der Feind anrückt, gewiss zerfallen, und wenn er nicht anrückt, verarmen. (SJS 3.5 - Übersetzung von Kai Vogelsang 2017: 30)
'Der Menschliche kann menschlich zu anderen sein, aber er kann andere nicht dazu bringen, menschlich zu sein; der Anständige kann andere lieben, aber kann andere nicht dazu bringen, zu lieben.' Daher taugen Wissen, Menschlichkeit und Anstand nicht dazu, das Reich zu regieren. (SJS 18.8 - Übersetzung von Kai Vogelsang 2017: 31)
Mit der Durchsetzung des Konfuzianismus als Staatsideologie im 1. Jh. v. Chr., beriefen sich die Herrscher auf konfuzianische Werte. Ein tugendhafter und gerechter Herrscher bringe dem Volk und dem Reich Prosperität. Zentrales Symbol wurde der Begriff der Tugend (de 德) der das Charisma des Herrschers - einer zum Vorbild berufenen Person - widerspiegelt.
Die Definition der Legitimierung blieb seit der Han-Zeit in ihren Grundannahmen bestehen, erlebte jedoch zeitweise Anpassungen an unterschiedliche Herrscherfiguren – wie etwa unter Wu Zetian 武则天 (625-705). Die Besonderheit der Herrschaftslegitimation in China bildet ihre Grundlage auf der chinesischen Weltbildkonstruktion.
Als sozial prägender Faktor bezüglich der Legitimation von Herrschaft in China fungierte die Tradition der Literatenbeamten, insbesondere die der Historiker. Diese galten als Repräsentanten der meinungsbildenden Schicht in der Gesellschaft und so formulierte Su Zhe 苏辙 (1039-1112 n. Chr.) einst: „Es gibt drei Mächte (quan 权) im Land: den Himmel, den Herrscher und den Geschichtsschreiber“. Als Mittel zur Unterstreichung der Legitimität, vor allem gegenüber weniger Gebildeten, dienten in der Geschichtsschreibung Mythen und Legenden. Diese konnten jedoch ebenfalls im Sinne der literarischen Opposition fungieren. In ihrer Funktion als ein Unterhaltungsmedium für die gesamte Bevölkerung, welches Historie, Legende und Bellestrik vereint, nehmen beispielsweise die Musikdramen der Yuan-Dynastie - einer Zeit der innerstaatlichen, beziehungsweise innergesellschaftlichen Unruhe - eine besondere Position ein.
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